Community Treffen

Hoch oben hängt ein schwarzes Metallgerüst. Unter der Decke ein Stückchen Eiffelturm. Ein Stückchen Paris.

Scheinwerfer hängen daran. Rote, grüne, gelbe, blaue – scheußliche Farben, die alles in scheußliches Licht tauchen. Sie blinken abwechselnd zu wummernden Bässen, zerhacken das Geschehen auf der Tanzfläche zu einer zusammenhanglosen Diashow.

„Nirgendwo sonst kann man eine solche Ansammlung hässlicher Menschen sehen.“

Wie oft habe ich diesen Satz schon gehört! Woran liegt es? Wen stellen wir uns denn vor hinter dem PC? Wer sind denn die Autoren der Sätze, die uns immer wieder anziehen? Engel? Teufel? Die überirdische Weiblichkeit mit der Pfirsichhaut, die Gesellin feuchter Träume? Der mutige Held, kluger Beschützer und verwegener Drachentöter?

Kein Stückchen Paris. Nicht unter der Decke und nicht auf dem Boden.

Sind denn diese Internet-Comms tatsächlich Ansammlungen sozial isolierter, gehandicapter, psychisch deformierter, seelisch kranker Menschen? Es kann doch gar nicht sein, dass sie alle, alle hässlich sind – oder doch?

Gewiss. Mancher hat eine Behinderung und nicht wenige hier sind fett bis zur Unförmigkeit. Gewaltige Pyramiden auf kegelförmigen Säulen in lang wallenden Gewändern über schwarzen Hosen, deren gelegentlich hervorblitzende Oberschenkelfasson die Ungeheuerlichkeit des Hosenbundes erahnen lässt. Bäuche, die an aufeinander getürmte Michelin-Reifen erinnern, drohen herab zu rutschen. Und daneben Männlein, so klein, so dünn und spillerig, dass man versucht ist, ihnen über den Mund zu fahren, bevor sie ihn noch aufgemacht haben.

Eine außerordentliche Ansammlung menschlicher Hässlichkeit? Ich glaube, Menschen sehen so aus. Nicht viel anderes sehen wir beim Gang über die Hohe Straße. Es fällt uns nur nicht so auf. Wir betrachten sie nicht so aufmerksam. Wir haben auch keine Lust, sie kennen zu lernen.

Auf einem CT jedoch sind wir neugierig auf den Menschen, der zu dem Nick gehört, den wir schon lange kennen. Also schauen wir hin. Ganz genau. Doch was wir sehen, ist bestenfalls langweilig.

Es ist das RL, das Real Life, das berühmte, das mit seinen Springerstiefeln in unsere Vorstellungen tritt. Aber sind wir wirklich so dumm, naiv, sehnsuchtsvoll unseren Wünschen verfallen, dass wir immer wieder dem virtuellen Schein erliegen?

Oder sollte der Schein eher im Real Life zu finden sein?

Wenn wir uns Kunstwerke, Menschenbilder seit spätestens aus dem letzten Jahrhundert anschauen, sind die Portraitierten nicht sehr ähnlich dem Publikum auf einem CT? Sind das alles wirklich nur symbolische Studien – oder hatten die Maler den realistischeren Blick?

Immer noch ist es in der Architektur Mode, Konstruktionselemente nicht zu verkleiden. Die Ästhetik der ungeschminkten Wahrheit hängt hoch oben an der Decke. Und auf dem Boden? Wo ist sie, die ungeschminkte Ästhetik der menschlichen Natur?

Sie ist da. Selbstverständlich ist sie da. Wenn wir sie nicht sehen, liegt das an unseren Augen, die dermaßen verdorben sind von den Hässlichkeiten einer billigen Discountwarenwelt, dass wir erst wieder lernen müssen, die nicht käufliche Schönheit des Menschen zu erkennen. Den vorsichtigen Charme zu sehen, mit dem ein Koloss seine Körpermassen durch die Menge bewegt, die lebhaften, verschmitzen Augen in dem verkarsteten Gesicht.

Wer bist du, Mensch? Du siehst nicht so aus, als wärest du ganz neu auf dieser Welt. Hast du dich denn sehr verändert mit den Jahren? Kennst du noch das zarte kleine Mädchen, aus dem dein doch schon etwas abgehangener Leib entstanden ist? Wenn du kaum eine Treppe ohne Pause schaffst, erinnert dich auch mal was an den pickligen Schüler, dessen große Leidenschaft das Fußballspielen war? Du kennst ihn noch? Bist es gar selbst? Bist immer der geblieben, der du warst, hast Wissen und Erfahrung gesammelt, dich selbst aber nie verändert? Tja, dann – ist es dein Körper, der über die Tatsachen täuscht.

Die Schönheit eines Menschen liegt im Unveränderlichen, in dem, was man nicht sehen und anfassen kann, in seiner Persönlichkeit, seinem Denken und Empfinden. Wohl weil wir zuerst diese Schönheit erkannt haben, in den Buchstaben auf unserem Monitor, sind wir so enttäuscht von dem schwerfälligen, linkischen Leib, in dem dieser kecke, frische Geist wohnt.

Real Life oder Virtual Life – wer täuscht uns da eigentlich?

Winterabend

Und wenn schon. Wen interessiert’s?“

Mich.“

Ich könnte auch fortgehen. Jetzt gleich, sofort. Woanders hin. Amerika. Oder Marokko. Oder sonst wo hin. Egal, wo. Wo’s mir gerade gefällt.“

Wenn sie dich ‚reinlassen.“

Ach, hör‘ auf. Ich bin kein Deutscher. Weißt du, was ich bin? Weltbürger. Wir alle sind Weltbürger. Die Länder, die Nationalitäten, bedeutungslos. Das einzig Deutsche an mir ist der Pass.“

Du brauchst ein Visum.“

Ich kann überall hin, kann überall leben. Natürlich muss man sich anpassen, kann zum Beispiel in solchen Ländern nicht halb nackt ‚rumlaufen, wie das so viele Touristen machen. Das ist schon lange her, vielleicht vor zwanzig Jahren: wir waren in Italien, kleinere Stadt, fast ein Dorf. Es war heiß, und ein paar Frauen, die zu uns gestoßen waren, zogen sich aus bis auf den Slip und sonnten sich in einem kleinen Park. Da kamen ein paar junge Männer, die Frauen dachten wohl, jetzt gibt’s Spaß, jetzt werden sie angesprochen und bewundert, aber nichts da, die haben sie mit Steinen beworfen. Recht hatten sie. Wenn die nicht von sich aus kapieren, dass man so was nicht überall machen kann, wenn die keine Rücksicht auf andere Kulturen nehmen können … ich habe nie Ärger bekommen, habe immer mit den Leuten gelebt.“

Bist du sicher? Das habe ich schon viele sagen hören. Aber glaub‘ mir, in manche Gesellschaftsgruppen kommt man dort noch schwerer ‚rein als bei uns.“

Ich nicht. Ich habe immer Kontakt gefunden, bin immer gut aufgenommen worden. Und die Menschen sind ganz anders, nicht so engstirnig wie bei uns. Nimm zum Beispiel Haschisch. Wenn du da rauchst, das stört niemanden, denn das machen die selber auch.“

Das würde ich so nicht sagen. Es ist das gleiche, wie bei uns mit den Trinkern. Es ist nicht verboten, aber es wird auch nicht akzeptiert, und der Haschisch-Raucher fliegt dort genau so ‚raus aus der Gesellschaft wie bei uns der Alkoholiker.“

Stimmt doch gar nicht. Ich war selbst in einem kleinen Dorf in den marokkanischen Bergen. Wenn die abends von der Arbeit kamen, haben die alle geraucht. Das war einfach üblich und normal.“

Meinst du, dass ein armseliges, einsames Dorf der Maßstab für eine ganze Gesellschaft ist? Ich weiß, solche Anschauungen sind sehr populär. Sie kommen von den Völkerkundlern, die sich mit Vorliebe die Armen, die Ungebildeten, die Unterschicht als ihre Forschungsobjekte heraussuchen, weil man an die leichter herankommt, denn zu den besseren Kreisen haben sie keinen Zutritt, die würden sich schön für die Zumutung bedanken, ihnen als Forschungsobjekt zu dienen. Aber die Hochkultur, das ist etwas ganz anderes. Sie ist es, nach der sich eine Gesellschaft orientiert und von der sie geprägt ist. Glaub‘ mir, es ist ein großer Unterschied, ob man die marokkanische Gesellschaft aus der Warte des Völkerkundlers betrachtet oder aus der des Islamwissenschaftlers. Und – so groß sind die Unterschiede zwischen den Menschen hier und dort nicht.“

Ja. Es ist überall gleich. Überall die gleiche Scheiße. Überall sitzt eine Hand voll reicher Bonzen an der Macht und bestimmt die Geschicke, ohne Rücksicht auf Verluste. Vor zwanzig Jahren noch, da haben wir gekämpft, da sind wir auf die Straße gegangen, für den Sozialismus. Wir haben gehofft, die Verhältnisse zu ändern und es hat sich ja auch vieles geändert, damals. Aber jetzt? Es ist alles viel schlimmer geworden. Weltweit hat sich die Macht des Kapitals ausgebreitet, hat alles unter seine Kontrolle bekommen. Wo sind denn die Leute von damals? Es ist keiner mehr da, keiner sagt was, keiner protestiert, keiner geht mehr auf die Straße. Nein, es ist alles vergeblich. Ich mache mir keine Illusionen, sehe die Dinge so, wie sie sind. Ich bin’s leid.“

Camus. Camus. Camus.

Ich weiß. Es war ein schönes Gefühl, an Demonstrationen teilzunehmen. Alle dachten das Gleiche, alle wollten das Selbe. Und doch waren es alles unterschiedliche Individuen, das hat man gerne übersehen. Aber es ist nicht so, dass keiner mehr da ist. Sie sind alle noch da. Erinnerst du dich an das ‚Arsch Huh‘ – Konzert auf dem Chlodwigplatz? Auf einmal waren sie alle da, und es war eine tolle Atmosphäre, nicht war?“

Ja, das eine Mal. Aber ein Jahr später, bei der Veranstaltung vor der Synagoge, da waren es nur ein paar hundert Leute.“

Na ja, mit einer Veranstaltung vor einer Synagoge ist nicht jeder einverstanden. Die Juden, das ist die eine Sache. Aber die andere Sache ist die, dass nicht alle, aber doch die meisten eng verbunden sind mit Israel. Und Israel hat das Land gestohlen, ist ein Fremdkörper, eine andere Kultur, die sich dort nur mit Gewalt halten kann. Dafür hat nicht jeder was übrig.“

Und? Willst du sagen, sie hatten nicht Recht, nach allem, was ihnen geschehen ist?“

Hier ist es ihnen geschehen, nicht dort. Ich habe auch mal so gedacht. Habe es in eine Rede für einen Araber hineingeschrieben, alles, Faschismus, Nationalsozialismus, Judenvernichtung, aber er wollte es nicht haben. Ich versuchte ihn zu überzeugen, wie wichtig das sei, welch‘ zentrale Bedeutung das habe, aber er wies es von sich. Er sagte: das ist eure Geschichte, nicht unsere. Was haben wir mit eurer Geschichte zu tun? Er hatte Recht. Wir denken immer noch ganz automatisch, dass wir der Nabel der Welt sind. Aber das sind wir nicht. Wir reden von zwei Weltkriegen. Dabei hat es nie einen Weltkrieg gegeben. Auf dem größten Teil der Erde ist damals nie eine Bombe gefallen, hat es nie Kämpfe gegeben, und wenn doch, so waren es fremde Truppen, die sich untereinander bekriegt haben. Auch einen Dritten Weltkrieg wird es nicht geben. In Europa war Krieg, und in Japan und in Fernost, aber für alle anderen Menschen war das, was dort passierte, völlig bedeutungslos. Es hat sie in ihrem alltäglichen Leben kaum berührt. Wenn du von der Welt und ihren Menschen sprichst, dann musst du die ganze Welt sehen, die ganze Menschheit. Obwohl die Menschen sich im Kern allüberall nicht sonderlich voneinander unterscheiden, leben die meisten doch in ganz anderen Kulturen, in ganz anderen Wirklichkeiten, haben ganz andere Vorstellungen und ganz andere Probleme. Deine Probleme sind nicht die Probleme der ganzen Welt, denn die meisten Menschen haben sie nicht. Also sind sie nicht so ungeheuer groß und wichtig, wie du vielleicht glaubst. Das musst du auch sehen. – Du sagst, alle Proteste und Demonstrationen seien vergeblich gewesen. Denk‘ mal an Iran. 1905 kam es zur konstitutionellen Revolution. Und es kamen die Ölgesellschaften und ein neues Schah-Regime. 1951 kam Mossadegh und verstaatlichte die Ölindustrie, und es kam ein CIA – Putsch. Dann die Revolution, und es kam Chomeini. So lange schon kämpfen die Iraner um Freiheit und Demokratie, und es geht immer weiter, weil das Leben weiter geht.“

Und wenn es nicht weiter geht? Wer fragt danach? Wen interessiert’s? Ich war kaum aus der Schule, da habe ich mich in die Badewanne gesetzt und den Föhn ‚reingeschmissen. Aber – er prallte auf die Wasseroberfläche und sprang hoch. Ich schmiss ihn hinein, und er fiel nicht in’s Wasser, er prallte zurück … Ich war dann bei ’nem Psychologen. Wir haben uns sehr viel und lange unterhalten. Dann sagte er mir: sie sind manisch-depressiv. Schön. Und? Arzt sollte ich werden. Mein Vater wollte das unbedingt. Aber es war nicht das, was ich wollte. Also ging ich nach Berlin. Nach einem halben Jahr rief mich ein Freund an und sagte: Stell‘ dir vor, weißt du, wer gestorben ist? Das rätst du nie. Dein Psychologe, er hat Selbstmord begangen.“

Ich weiß, was du meinst. In Wien hat’s sogar der Professor den Erstsemestern von der Kanzel verkündet: die meisten studieren Psychologie, weil sie hoffen, damit ihre eigenen Probleme zu lösen. Er war darüber ganz und gar nicht glücklich. Aber er hatte Recht. Es war nicht der einzige Grund für meinen Studienfachwechsel, ich hatte erkannt, dass es andere Fragen sind, die mich am Menschen interessieren, aber mit ein Grund war es, dass ich mir, als ich die Kommilitonen anschaute, sagte: da gehörst du nicht hin. Die Probleme, mit denen die sich herumschlagen, das sind nicht deine.“

Seit der Sache mit dem Föhn habe ich an sich nichts mehr unternommen. Ich bin Sozialist geworden. Eine Frau habe ich auch kennen gelernt. Acht Jahre waren wir zusammen. Sie war auch Sozialistin. Wir haben uns so gut verstanden, wir haben das Gleiche gedacht, alles gemeinsam gewollt und gemacht, es war, als wenn es zwischen ihr und mir überhaupt keinen Unterschied gäbe. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es je anders sein könnte. Dann ist sie gegangen. Meinte, sie fühle sich nicht reif für eine feste Bindung. Ich habe mir so etwas überhaupt nicht vorstellen können. Wenn du überzeugt bist, dass das das Richtige für dich ist und dass das sein muss, sagte ich, und ließ sie gehen. Dann bin ich richtig ‚runtergekommen, bis ich mir gesagt habe, entweder, oder. Man hat mir die Lehre angeboten und ich habe sie gemacht, richtig gemacht, mit Abschluss, Gesellenbrief und allem. Seitdem arbeite ich, regelmäßig, jeden Tag. Aber dieses Wochenende, da habe ich gesoffen. Gestern saß ich im Bad und habe mir die Wanne angeschaut. Habe drei Stunden lang überlegt. Dann habe ich mich wieder voll laufen lassen, bis ich breit war. Und heute habe ich blau gemacht und weiter gesoffen. Ich habe nie blau gemacht, es ist das erste Mal, aber ich werde auch morgen blau machen. Erzähle mir nichts von wegen depressiv und so. Das ist dummes Geschwätz. Es ist was anderes. Ich habe meine Arbeit immer gern gemacht, aber die Arbeit, das Leben, es bedeutet mir einfach nichts mehr.“

Es gibt solche Momente, wo man am liebsten die Brocken hinschmeißen möchte. Das kennt jeder, ich auch. Aber sag: was soll es dir denn bedeuten und warum bedeutet es dir nichts mehr?“

Ich will, dass die Gesellschaft sich ändert. Dass die Menschen sich ändern. Dass sie nicht nur an sich selbst und an ihre Kohle denken, sondern menschlich miteinander umgehen, dass sie um sich schauen, dass sie sehen, da braucht einer was, hier zum Beispiel, dem können sie helfen, mit ganz einfachen Dingen. Ich habe nicht nur gearbeitet, sondern mich auf meiner Arbeitsstelle auch darum bemüht. Und ich habe durchaus hier und da etwas bewirken können. Aber wozu? Im Grundsatz ändert sich überhaupt nichts. Die anderen, die Mitarbeiter und Kollegen, die wollen nichts ändern, fallen stumpfsinnig immer wieder in ihren alten Trott zurück. Wie’s anderen geht, was die fühlen, das interessiert die gar nicht. Hauptsache, sie sind zufrieden. Das kotzt mich so an, in so einer Welt mag ich nicht leben.“

Das musst du auch nicht. Bau‘ dir deine eigene Welt, das mache ich auch. Glaubst du, ich kann mich an einen Tisch setzten mit denen, die über das Leid anderer nur reden um herauszustreichen, um wieviel besser sie selbst doch sind oder die das Glück anderer mit blankem Neid betrachten und alles daran setzen, es zu zerstören, wenn sie können? Wer könnte mich zwingen, es ihnen gleich zu tun und mit ihnen zu leben? Ich tue es nicht. Sollen sie in ihrer Welt leben, wenn sie meinen, dass das das Richtige ist und dass sie darin glücklich und zufrieden sind. Ich baue mir meine eigene Welt, in der andere Maßstäbe gelten. Und du siehst, ich bin hier und nicht an irgendeinem Stammtisch in der Kneipe.“

Rückzug. Und was ändert sich dadurch? Nichts.“

Oh, doch. Du weißt, was sie immer sagen: so, wie sie, denken alle. Jeder will das gleiche, jeder hat die gleichen Interessen, die gleichen Prinzipien – oder auch keine. So, wie sie leben, leben alle anständigen, normalen Menschen. Alles andere ist Mumpitz, unnormal oder auch Vorspiegelung falscher Tatsachen in höchst persönlichem, eigennützigem Interesse. Das sind Allaussagen. Du weißt, welche Eigenschaft Allaussagen an sich haben: sie werden durch einen einzigen Umstand, der anders ist, widerlegt. Wenn ein Einziger sagt, nein, ich denke anders und handle anders, dann können sie nicht mehr sagen, dass alle so denken und handeln. Natürlich musst du damit rechnen, dass sie sauer sind, wenn du nein sagst, und dich angreifen. Aber das tut nichts zur Sache. Wesentlich ist, dass es nicht nur eine Möglichkeit gibt, als Mensch unter Menschen zu leben, sondern mehrere. Man hat die Wahl. Und mit der Wahl hat man auch die Verantwortung für das, was man tut. Du kannst es beweisen, durch die Tat. Wenn du dir das überlegst, du hast damit eine große Macht.“

Tatsächlich interessiert es niemanden, wie ich lebe und was ich tue und ob ich überhaupt lebe. Und wenn ich weg bin, gibt es auch niemanden, der davon ernsthaft betroffen ist.“

Das stimmt nicht. Ich zum Beispiel wäre davon betroffen.“

Warum? Was sollte es dich kümmern?“

Weil du ein Mensch bist, und weil ich ein Mensch bin. Darum betrifft es mich. Kennst du Hemingway’s ‚Wem die Stunde schlägt‘? Das Gedicht von John Dunne, das er seinem Roman voran gestellt hat? No man is an Iland, intire of it selfe und so weiter? ‚Any man’s death diminishes me, because I am involved in Mankinde; And therefore never send to know for whom the bell tolls; It tolls for thee.’“

Ja. Ein wunderbares Gedicht. Und es ist wahr. Aber wer weiß das schon?“

Die Wahrheit ist nicht davon abhängig, dass alle sie kennen und anerkennen. Jahrhundertelang haben die Menschen geglaubt, dass die Erde eine Scheibe ist, um die sich die Gestirne drehen. Sie haben es mit ihren eigenen Augen gesehen. Dann ist Einer gekommen und hat gesagt: nein, das ist falsch. Sie haben ihn erst mal angegriffen, versucht, ihn mundtot zu machen, die Mehrheit, und die Kirche, die ihre Macht gefährdet sah. Aber es war die Wahrheit, obwohl alle anderen es anders sahen. Die Wahrheit ist nicht demokratisch. Man kann über sie nicht mehrheitlich abstimmen. Darum ist es gleichgültig, ob andere sie anerkennen oder nicht.“

Gut. Aber soll ich deswegen weiter leben? Immer weiter kämpfen? Irgendwann wird man müde. Dann wird man’s leid. Hemingway hat sich auch umgebracht.“

Ja. Er hat’s nicht geschafft. Aber das Leben ist nicht nur Kampf und Mühsal. Das Leben ist schön. Schau‘ dich um, schau‘ dir diesen Baum an. Er ist schwarz und kahl. Aber es dauert nur noch wenige Wochen, dann ist der Schnee endgültig weg und seine Knospen brechen auf und er lebt und wächst und breitet sich aus. Wenn du müde bist, dann mach‘ die Augen auf und sieh. Und denk‘ an das, was du gesehen hast. Ich zum Beispiel kenne einen kleinen Campingplatz in Holland, beim Bauern. Abends, wenn alle schlafen, sitze ich dort immer noch ein Stündchen ganz allein vor dem Zelt. Dann erst gehe ich zum Waschraum, und auf dem Rückweg schau ich mich ein letztes Mal um, bevor ich schlafen gehe. Da gibt es immer wieder Momente … Es war eine wunderbare, klare Sommernacht. Mitten in den Feldern, ganz ruhig und still. Ich sah um mich, und es war wie in dem Gedicht von Eichendorff, ganz genau so: Es war, als hätt‘ der Himmel / die Erde still geküßt, / daß sie im Blütenschimmer / von ihm nun träumen müßt‘. // Die Luft ging durch die Felder, / die Ähren wogten sacht, / es rauschten leis die Wälder, / so sternklar war die Nacht. Wenn man so was in der Schule lernt, denkt man immer: mein Gott, was für’n Kitsch. So haben die Leute früher gedacht, zu Balduin Bählamms Zeiten, da haben sie so was in der Gartenlaube gelesen und sich schwärmerisch im Sessel gewiegt. Altmodisch, verstaubt. Heute wirkt das lächerlich. Wir sind Realisten. Heute sieht die Welt anders aus. Aber sie sieht nicht anders aus. Das Gedicht ist keine Idealisierung der Natur, kein Wunschtraum, sondern eine Beschreibung, eine exakte Beschreibung der Wirklichkeit. Genau so ist sie immer noch. Wir müssen nur die Augen aufmachen und sehen. Und wenn du es siehst, dann stehst du da und saugst den Anblick in dich hinein, bis in die letzte Zelle deines Körpers. Er prägt sich dir ein und lässt dich nie wieder los. Du kannst ihn nicht nur immer wieder und jederzeit heraufholen, du bist von ihm geprägt.“

Du erstaunst mich. Ich hätte nie gedacht, dass du so was drauf hast.“

Siehst du, man lernt immer wieder was Neues kennen.“

Holland, ja da war ich früher auch. Zum Beispiel zu einem Open Air Konzert. Einfach auf dem Feld haben alle gelegen, eine große internationale Gemeinschaft, und wir alle haben uns verstanden, haben zugehört, friedlich und freundlich. Es war etwas außerhalb der Stadt. Ich war schon so’n bisschen angetörnt und hatte mir eben ’nen neuen Joint angesteckt, da kam mir ein Polizist entgegen. Damals war das in Holland noch nicht so mit dem Peace, das war noch verboten, und ich dachte, herrje, jetzt bist du fällig. Aber der Polizist, der hat überhaupt nichts gesagt. Hat mir nur gezeigt, wo’s zum Konzert geht. Mann, ich denk‘, jetzt geht’s wer weiß wohin, und der schaut mich einfach nur freundlich an …“

Das sind Haschisch-Erinnerungen, mein Junge. Das ist nicht dasselbe. Das ist nur ein chemisch hervorgerufenes Gefühl, das nichts mit der Wirklichkeit da draußen zu tun hat. Aber egal.

… schön war’s. Aber jetzt? Jetzt gibt’s das nicht mehr. Die Gruppen gibt’s nicht mehr, die Künstler gibt’s nicht mehr – Bob Dylan, den wollte ich eigentlich noch überleben, ha, ha. Der Größte überhaupt, einfach phantastisch. Zu seiner letzten Tour sind wir natürlich hingefahren. Der Zug war rappelvoll. Alles Techno-Leute. Wollten zur Rave-Party nach Berlin. Überall Techno-Musik, nur Techno, auch in unserem Abteil. Schließlich haben wir gesagt: könnt ihr nicht mal abschalten? Wir wollen nämlich zu Bob Dylan. Da sind sie ‚raus gegangen. Das haben sie respektiert. Ich hab‘ sie alle gesehen, die Künstler, die Gruppen, aber es ist vorbei. Blowin‘ in the wind. Der Rest? Leere, Stumpfsinn. Warum soll ich mir das immer noch weiter antun?“

Du gibst dich immer noch nicht geschlagen? Du willst wirklich das Letzte? Gut. Wagen wir’s.

Weil du ein Mensch bist. Es ist mir egal, was andere davon halten und ob es populär ist oder nicht, der Mensch ist immer noch was Besonderes, immer noch das Größte, mit nichts auf der Welt zu vergleichen. Schau dir noch mal diesen Baum an. Was ist es denn? Materie. Die ganze Welt ist weiter nichts als ein Haufen sich ständig bewegender, sich ständig verändernder Materie, sichtbar überhaupt nur dadurch, dass es etwas Festes gibt, etwas Beständiges, das trotz aller Veränderungen immer seine Form behält: Leben. Aber dies anschauen, es erkennen, sich damit auseinandersetzen, verstehen, das kann kein Lebewesen, das können nur wir. Damit zu leben, mit diesem Materiehaufen, das ist unsere Aufgabe. Es ist gleichgültig, was und wie dein persönliches Schicksal ist, dein Leben ist deine Aufgabe. Damit musst du fertig werden, als Mensch musst du damit fertig werden. Wenn du die Brocken hinschmeißt und aufgibst, dann hat die Materie den Geist überwunden, dann hat sie den Menschen in dir besiegt. Dann hast du versagt. Nicht als Person, als Individuum, als Mensch hast du versagt.“

Und wenn ich versage? Wen interessiert’s“

Dich.“

 

 

 

Ach, nehmt ihn auf in euren Skatverein …

Paar Monate nach Michael starb Müllers Jupp. Auch er hatte es nur bis Anfang dreißig geschafft. So ist das nun mal: mit vierzehn fangen sie an sich zuzuknallen und mit dreißig fangen sie an zu sterben.

Ich weiß, es ist kindisch, aber ich habe mir immer vorgestellt, dass er dort oben mit hängenden Schultern angewandert kommt, die Einlasskontrolle mit selbstverständlicher Routine ohne Aufregung passiert, den angewinkelten Arm in einer lässig – schlaffen Bewegung zum kurzen Gruß erhebt, den freudestrahlenden Michael abwehrend, der ihm am liebsten um den Hals fallen möchte, um dann mit ihm tuschelnd und lachend in einer Fensterecke zu stehen, um das Geschehen, das vor ihnen abläuft, mit witzigen Kommentaren zu versehen. Kindisch, ich weiß, aber es passt nun mal. Sie gehören dazu, die beiden, sind unverzichtbare Bestandteile des menschlichen Wesens. Das Humanum besteht nicht nur aus den Anständigen, den Frommen, den Weisen, sonst wären wir wohl ziemlich unerträglich.

Das aschblonde Haar, die stets gebeugten Schultern und die hervorstehende Oberlippe gaben ihm das Aussehen eines ängstlich – dreisten Schulbuben. Auch er lebte im Obdachlosenheim, gehörte dort zum festen Inventar, fühlte sich wohl – oder tat wenigstens so – und war zufrieden.

Müllers Jupp lebte von der Sozialhilfe. Das heißt, Übernachtung und Essen waren frei und außerdem gab es wöchentlich DM 37,17 Taschengeld. Die holte er sich an seinem Zahltag bei mir im Büro ab, nicht ohne zu verkünden, dass er das Geld eigentlich gar nicht brauche, dass er es an sich auch verschenken könne, denn es reiche gerade mal für den Zigarettentabak, kaum der Rede wert. Natürlich schmiss er die 17 Pfennige immer in den Spendentopf. Ohnehin wusste niemand, wer diesen Betrag auf welcher Grundlage errechnet hatte.

Jupp hatte Familie. Eltern, Brüder, Schwestern, Onkel, Tanten. Vielleicht nicht gerade vorzeigbar, aber sie hielten zusammen. Steckten ihm immer mal was zu, mal ’nen Fuffi, mal ’nen Hunni, mal ein Kleidungsstück, und außerdem behauptete er, seinen eigenen Verdienst zu haben, munkelte wohl auch mal von Pferdchen auf dem Chlodwigplatz und dass er es eigentlich gar nicht nötig habe, im Heim zu wohnen, dass er es nur täte, weil er sich hier wohl fühle, hier, bei seinen Freunden, und dass es auch noch andere Vorteile habe, so ’ne gewisse Sicherheit, wenn du verstehst, was ich meine … na, ja. Armut ist relativ in diesen Kreisen. Wer DM 900,00 Arbeitslosenhilfe bekommt, der hat etwa DM 450,00 im Monat zur freien Verfügung, wenn er das Mittagessen einspart, und daran spart fast jeder. Und wer gar, wie Michael, monatlich zweihundert Mark von seinem Onkel überwiesen bekommt, der ist schon ein vergleichsweise wohlhabender Mann und hat darum jede Menge Freunde. Denn wer nichts hat als das Taschengeld der Sozialhilfe, der muss halt zusehen, wie er an seinen täglichen Stoff kommt. Letztendlich haben alle gleich viel oder auch gleich wenig, denn irgendwie wandert alles in den großen Topf

„Wir haben das schönste Zimmer, das schönste Zimmer im ganzen Haus, das musst du dir mal anschauen!“ Es war ein Zehnbettzimmer in einem ehemaligen Klassenraum. An der Tür hing ein großes, handgeschriebenes Pappschild, das, insbesondere weiblichen Sozialarbeitern bei Strafe des Leibes und des Lebens den Zutritt speziell zur Zeit des Mittagsschlafs verbot. Mit Schlaf hatte das weniger zu tun, denn irgend jemand lag immer in seinem Bett und schlief. Vielmehr wollte Zimmer 203 seine Ruhe haben, war eine autonome Republik, die niemanden in ihren Kram gucken lassen wollte. Das hatte auch sehr handfeste Gründe, denn Zimmer 203 hatte seinen eigenen Regenten, Jack Brings, und seine Art der Regierung war nicht für fremde Augen bestimmt. „King Brings“, nannten ihn die Sozialarbeiter. Sie achteten und respektierten ihn, denn ihnen gegenüber war er sehr zurückhaltend und machte keine Schwierigkeiten; mag sein, dass manch‘ einer die Illusion hatte, es habe Vorteile, wenn einer in dem Haufen einigermaßen für Ordnung sorge. Denn Regeln und Ordnung lassen einen Betrieb reibungslos funktionieren. Da ist mancher gerne geneigt zu übersehen, dass nicht die Funktion, sondern das Recht die Substanz ist, die eine Organisation prägt. Der ruhige, überlegte und jederzeit vernünftig ansprechbare King Brings regierte mit eiserner Faust.

Besonders beeindruckend war die Einrichtung von Zimmer 203 nicht. Ein paar Topfpflanzen an den Fenstern, die üblichen Betten mit ihren Nachttischen für das Privateigentum, eine schwere, dunkle, schon recht abgeschabte Kommode, der Stolz des Zimmers, für das Gemeinschaftseigentum, und das unvermeidliche Pin-up Plakat, eine kaum bekleidete Frau mit weit ausgebreiteten Beinen. Aber, dies alles war ihr Eigentum, war von ihnen selbst so und nicht anders herbeigeschafft und gestaltet worden, einzig nach ihren Wünschen und nach ihren Bedürfnissen, und eben darum war es die beste Einrichtung, die man sich denken konnte. Doch seine tatsächliche Besonderheit erhielt das Zimmer durch die Atmosphäre. Eine in sich geschlossene und abgeschlossene Gemeinschaft hatte sich eine Szene im Kleinen geschaffen.

Die Wirtschaft in Zimmer 203 funktionierte durch das genau austarierte Zusammenspiel zwischen Arbeitslosenhilfe- und Sozialhilfe-Empfängern. Wichtigstes Wirtschaftsgut war der Alkohol, überwiegend Bier, das stets in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen musste. Es war kein Genussmittel, sondern Lebensmittel, denn kein Bier zu haben, das bedeutete Entzug, Flattermann, Krankheit, Schwäche und Erniedrigung. Die kontinuierliche Versorgung aller musste also gewährleistet werden; darauf basierten das Gemeinschaftsgefühl, die Unabhängigkeit, die Omertá. Dafür wurde vorwiegend das Einkommen der Arbeitslosenhilfe-Empfänger eingesetzt. Natürlich wurde kontrolliert, wer sich wie oft aus dem Gemeinschaftskasten bediente, denn es ging nicht an, dass einer sich auf Kosten der Gemeinschaft ohne Gegenleistung durchsoff, und natürlich lag die Kontrolle in der Hand der Arbeitslosenhilfe-Empfänger und Jack Brings bezog Arbeitslosenhilfe.

Gegenleistungen konnten in vielfältiger Weise erbracht werden. Sie bestanden im Wesentlichen darin, dass die Sozialhilfeempfänger arbeiten mussten. Zunächst mal die vom Sozialamt mit DM 3,– pro Stunde bezahlten Gemeinschaftsarbeiten, überwiegend das Putzen von Zimmern, Fluren, Bädern und Toiletten. Kleckerbeträge, wenn man bedenkt, wie viele Stunden man für einen Kasten Bier arbeiten musste, aber dennoch nicht zu verachten, zusammen mit dem Taschengeld vor allem am Monatsende nicht zu verachten, wenn auch den Arbeitslosenhilfe-Empfängern die Barschaft ausgegangen war. Des weiteren waren es die Sozialhilfeempfänger, die, auch morgens in aller Herrgottsfrühe, losgeschickt wurden, um den Nachschub einzukaufen. Entlohnung in Naturalien, und auch sonst gab es allerlei kleine und große Dienstleistungen, die der arme Sozialhilfeempfänger für den reichen Arbeitslosenhilfe-Empfänger erledigen konnte. Schließlich das Mittagessen, das die Sozialhilfeempfänger frei hatte und an dem die Arbeitslosenhilfeempfänger meist sparten. Für sie wurden nicht nur die fabrikmäßig abgepackten Joghurt- und Puddingbecher, sondern Würste, Bratenstücke, Rouladen, ja, gefüllte Suppenteller heimlich eingesackt und aus dem Speisesaal nach oben transportiert. „Hortungstrieb“, nannte es der Leiter des Hauses und diagnostizierte die aufgrund der Lebensumstände fest im Unterbewussten angesiedelte Angst, am nächsten Tag nichts mehr zu essen zu haben. Er gab die Empfehlung, den Leuten doch immer wieder geduldig zu versichern, dass es ganz gewiss morgen wieder ein Mittagessen gäbe und dass deshalb niemand Angst vor dem Hunger haben müsse. Nun ja, die Leidenschaft für die Psychologie hat schon manch‘ seltsame Blüte getrieben.

Es war verboten, Essen in die Schlafräume mitzunehmen. Das hatte einen sehr vernünftigen Grund: nicht immer fand das Essen seine Abnehmer, nicht immer ist ein schwerer Alkoholiker in der Lage, seinen gequälten Magen auch noch mit Nahrungsmitteln zu belasten; tagelanges Hungern war durchaus keine Seltenheit. Also blieben Essensreste oft liegen, wurden alsbald vergessen, moderten oder trockneten tagelang vor sich hin – und fanden doch noch ihre Abnehmer: in den Kakerlaken, die sich unausrottbar längst im Hause festgesetzt hatten, immer wieder zu neuen Schwärmen heranwuchsen und denen der Desinfektor alle paar Wochen immer wieder in vergeblichem Kampf mit der Giftspritze zu Leibe rückte. Man hatte sich längst daran gewöhnt, die aus Desinfektionsgründen für Stunden unbewohnbaren Zimmer gehörten zum normalen Ablauf der Dinge, und so regte es auch niemanden auf, wenn ihm des Tags eine Kakerlake begegnete, die, eifrig die Sockelleiste entlang marschierend, friedlich ihren Geschäften nachging.

So hatte diese Gesellschaft sich organisiert, auf ganz natürliche Art und Weise. Streng aufgeteilt in Ränge sicherte sie jedem die Lebensbasis, wies jedem Rechte und Pflichten zu und hatte auch für den Letzten noch eine Funktion, die ihm Anspruch auf die gemeinschaftliche Grundversorgung gewährte. Der Letzte, das war die Trööt, ein aufdringlicher, nervtötender, bramarbasierender Schwätzer, der ganz gewiss an der nächsten Ecke wartete, wenn er wusste, dass jemand Geld in der Tasche hatte – und wer konnte so etwas vor ihm verheimlichen? An diesen hängte er sich ‚ran, war nicht abzuweisen und abzuschütteln und lobte und pries und redete und schwatzte so lange, bis er, den Normen der Szene gemäß, genügend Zeit mit ihm verbracht hatte, um Anspruch auf einen Anteil Bier und Schnaps erheben zu können. Auf diese Weise schnorrte die Trööt sich durch, war Nachrichtenbörse, Claqueur und Prügelknabe, denn wenn ihm schließlich jemand entnervt eine ‚runterhaute, so war auch für diese Tat wiederum eine Flasche Bier fällig.

Müllers Jupp hatte eine Charaktereigenschaft, die ihn vor allen anderen auszeichnete: er war ein Freund. Hilfsbereitschaft ist in der Szene nichts besonderes. Hilfsbereit ist dort im Grund jeder, obwohl dies manchmal zu recht absurden Situationen führt, etwa, wenn einer, der den überwiegenden Teil des Tages sturzbesoffen und folglich nicht in der Lage ist, sich um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern, in einem lichten Moment einem anderen Ratschläge zur Regelung seiner Angelegenheiten erteilt. Aber wer einem anderen hilft, der ist ihm in dem Moment überlegen, und ebenso wichtig ist das Motiv, bei der eigenen Hilflosigkeit und Unfähigkeit doch noch einen gefunden zu haben, dem man von Nutzen sein kann. Nicht selten schlägt die Hilfsbereitschaft in’s Gegenteil um: manch‘ einer hält lange Gardinenpredigten darüber, was einer zu tun und zu lassen habe, wenn er aus seiner Misere herauskommen wolle, unterstützt ihn gar noch mit Essen, Bier, Tabak, Unterkunft und Kleidung, erwartet selbstverständlich, dass seine Mühe reichen Lohn einfährt, dass sein Opfer seinen Lebenswandel grundsätzlich ändert – und lässt ihn, wenn er erkennt, dass sich überhaupt nichts ändert, zornig schimpfend fallen: unverbesserlich, selbst dran Schuld, soll er doch verkommen und verrecken. Da unterscheiden sie sich in nichts von der Schicht, aus der die meisten kommen: dem unteren Kleinbürgertum, das, unfähig zu verstehen, die eigene Sprachlosigkeit mit wortreichen Predigten zudeckt und auch noch so felsenfest von der Nützlichkeit und Sinnhaftigkeit solcher Plappereien überzeugt ist, dass es nur eine Erklärung hat, wenn die Sache nicht anschlägt: schlechter Charakter.

Müllers Jupp hielt keine Predigten. Gewiss rühmte er sich, wie andere auch, wem er alles womit geholfen habe, aber der Hintergrund war ein anderer. Ganz natürlich und ohne darüber nachzudenken lebte er das Kant’sche Prinzip, wonach man nur dann vom guten Willen sprechen kann, wenn er unwillig verfolgt wird. Wenn er sah, dass jemand seine Hilfe brauchte, dann half er. Und wenn er merkte, dass sich dadurch nichts änderte, dass der Betreffende am Boden kleben blieb und keine Stufe höher kam, ärgerte er sich – und half ihm trotzdem weiter. Es lag eben in seiner Natur.

Um zwei sollte Michael sich in der Rheinischen Landesklinik in Langenfeld aufnehmen lassen. Morgens schon war er im Heim erschienen, das immer noch sein Konto führte, hatte sein restliches Geld abgeholt und soff nun mit seinen Kumpanen fröhlich auf Zimmer 203. Das war ihm längst verboten worden, aber wie üblich hatte er sich die Hintertreppe hinauf geschlichen und war in einem unbeobachteten Moment in’s Zimmer gewitscht. Dort war er sicher, denn mit der Bande legte sich kein Sozialarbeiter ohne Not an, und außerdem war längst das Gerücht verbreitet worden, kein Bewohner dieser Etage und erst recht kein Bewohner dieses Zimmers sei bereit, Michael fürderhin in der Gemeinschaft zu dulden. Wahrscheinlich hatte man selbiges mal als Grund für seinen ‚Rausschmiss aus dem Heim verkündet und die Leute waren nur allzu bereit, dieser Meinung zuzustimmen, denn wenn Autoritäten einmal eine feste Meinung über die Struktur einer sozialen Gruppe gefasst haben, so bedeutet dies für deren Mitglieder in der Praxis, dass sie in Zukunft von ausforschenden Einmischungen in ihre Angelegenheiten unbehelligt bleiben.

Mittags ging ich ‚rauf, um Michael an seinen Termin zu erinnern. Es war eine fröhliche, lockere Gemeinschaft, die dort oben auf den Betten hockte und Witze riss, und natürlich hatte Michael nicht die geringste Lust, diese nette Zusammenkunft abzubrechen, um zur Therapie in eine Klinik einzufahren, zu fremden Leuten in fremder Umgebung – und Michael hatte Angst vor fremder Umgebung. Aber die Gegenwart, der Moment, das ist das Eine, und das Andere ist die Zukunft, die schon in wenigen Stunden wieder hereinbricht, mit Einsamkeit, Hunger, Krankheit, Schmerzen, Not und Elend, eine Zukunft, die jeder Süchtige in frohen Stunden für immer und ewig von sich zu weisen sucht, vergeblich. Und weil er das weiß, sobald er zu Bewusstsein kommt, setzt er alles daran, im Zustand der Unbewusstheit zu verbleiben. Es war eine harte Debatte, die den Unwilligen wieder in die Realität zurückholte. Mit kaugummizähen Fäden hielt die Lust ihn in der Gegenwart fest, und als er sich schließlich mit einem Ruck los riss und sich für die Zukunft entschied, konnte er dies nur unter der Voraussetzung, dass ihn jemand nach Langenfeld begleite.

Müllers Jupp war stolz darauf, noch nie eine Therapie gemacht zu haben. Das sei etwas für Schwächlinge, die mit der Sauferei nicht umgehen können. Spott und Hohn hatte er für diejenigen übrig, die mal wieder zur vierzehntägigen Entgiftung in Merheim waren. Was soll der Blödsinn? Geht danach doch eh‘ wieder so weiter wie vorher (womit er in der Regel recht hatte). Aber davon war jetzt keine Rede. Er spürte, diesen Gang konnte Michael nicht alleine gehen. Also überlegte er nicht lange und ging mit.

So, wie er zurückkehrte, wird er mir in Erinnerung bleiben. Tief gekrümmt hatte er sich die Treppe hinaufgeschleppt, so krumm, dass man allein vom Zuschauen Rückenschmerzen bekam. Um neunzig Grad war sein Rücken gebeugt, fast schleiften die Hände auf dem Boden. So schlich er über den Flur, erhob mühsam und doch mit der gewohnten Lässigkeit den Arm zur Begrüßung, lächelte freundlich und wehrte vorsichtshalber alle Fragen ab. Das war ihm auch zuzugestehen, denn auf den zweiten Blick erkannte man seine völlige Erschöpfung. Er hatte nur einen Wunsch: in’s Bett zu gehen. Und das tat er auch, ohne anzuhalten.

Unfähig, die Spannung zu ertragen hatte Michael sich erst mal mit Whisky eingedeckt, und wenn Jupp vielleicht auch nur halb so viel trank wie er, reichte es doch, ihn beinahe außer Gefecht zu setzen. So waren sie nach einer guten Stunde Fahrt in der Klinik angekommen. Während Michael umgehend in ärztliche Obhut kam, ließ man Jupp warten. Sei es, weil sich alle Bemühungen auf Michael konzentrierten, denn er hatte sich auf dem Weg eine lebensgefährliche Alkoholvergiftung angesoffen, sei es, dass Jupp etwas nicht richtig verstanden hatte oder sei es auch nur, dass man es nicht für nötig hielt, dem besoffenen Kerl da draußen Bescheid zu geben, Jupp wartete Stunden, bis er beschloss, den mühseligen Weg nach Hause anzutreten. Allein das Taxi zum Bahnhof kostete ihn eine Menge Geld.

Ein paar Tage lang ging es Müllers Jupp gar nicht gut. Mit dreißig machen sich die körperlichen Folgen des Giftes unmissverständlich bemerkbar, und das war auch bei ihm nicht nur Alkohol. Die Gefäßwände werden dünn, die offenen Wunden an den Füßen schmerzen, die Leber bäumt sich auf und das Herz signalisiert durch seinen Schlag, dass es solche Strapazen nicht mehr lange überstehen wird. Soviel Schnaps konnte er nicht mehr vertragen. Das wusste er, aber zur Sucht gehört auch, dass man trotzdem nicht in der Lage ist, die angebotene Flasche zurückzuweisen. Auch dies wusste er, so, wie er trotz aller coolen Sprüche besser als jeder andere wusste, wie schlimm es tatsächlich schon um ihn stand. Ja, eigentlich hätte er gar nicht mitfahren dürfen, aber es war eben ein Freundschaftsdienst gewesen und das hatte bei ihm alle anderen Bedenken überwogen.

Seine letzten Lebenstage hatte Michael in diesem Haus verbracht. Gezwungenermaßen. Einen anderen Platz gab es nicht für ihn. Aber er war ihm fast schon entwachsen, und als Jack Brings seine gewohnten Befehle erteilte, löckte er wider den Stachel, so dass Jack in sein Zimmer ging, sein Messer holte und zustach.

Als ein Sozialarbeiter eintraf, warf Jack das Messer geschwind aus dem Fenster und beide versicherten, verbunden dem Gesetz der Omertá, dass nichts gewesen sei. Das Blut fiel nicht weiter auf und die Trööt verdiente sich eine tüchtige Ration Bier, denn er flitzte die Treppe hinunter und barg das Messer.

Sie hatten beide Glück gehabt. Jack hatte Michael nur oberhalb des Halses getroffen.
Überleben tat Michael trotzdem nicht. Zwei Tage später setzte er sich den Goldenen Schuss.

Er wollte Jack nicht verpfeifen und ich respektierte seinen Willen. Schließlich hatte ich längst nichts mehr zu tun mit diesem Heim – und außerdem gab es genügend Sozialarbeiter, die Jack Brings kannten.. War es falsch? Ich weiß es nicht. Ein halbes Jahr später war es der Hummer, der Jack beim Kartenspiel stundenlang stichelte und sekkierte, und als er endlich in’s Bett gegangen war, ging auch Jack in sein Zimmer, holte eine Eisenstange und schlug ihn tot.

Bald nach Michaels Tod machte auch Müllers Jupps Körper ihm unmissverständlich klar, dass das Ende seiner Belastbarkeit erreicht war. So musste er sich nun doch noch zu einer der verachteten Therapien entschließen. Er absolvierte sie mit der gleichen stoischen Gelassenheit, mit der er auch diverse kurzfristige Gefängnisaufenthalte absolviert hatte und stimmte ebenso zu, in ein trockenes Heim überzusiedeln, da er in dieser feuchtfröhlichen Runde noch nicht einmal Stunden würde trocken bleiben können. Alles war sehr vernünftig, sehr wohl begründet und so war er mit allem einverstanden.

Aber nach wenigen Wochen verließ er das trockene Heim und kehrte zurück zu seinen Freunden. Es war noch nicht einmal der Stoff, es war die Sehnsucht nach seiner Welt, seiner Heimat, die ihn verzehrte und ihn alle Warnungen und Bedenken in den Wind schlagen ließ. Man kann nicht darauf bauen, einen Menschen nur der Vernunft folgen zu lassen; er muss auch leben können, und mit der Vernunft allein kann niemand leben, noch nicht mal ein Philosoph. Natürlich fing er wieder an zu trinken, bemühte sich zwar um Mäßigkeit, aber – was heißt das schon. Alkohol bildete die Atmosphäre dieser Welt, ohne die sie nicht existieren konnte. Ihre Bewohner waren sich nur so lange gut und verbunden, wie sie berauscht waren; der klare, nüchterne Kopf lässt sofort erbarmungslos all die langweiligen, albernen Dummheiten erkennen, aus denen ihr gemeinsames Leben tatsächlich bestand und das bisher vom Rausch unterdrückte Bewusstsein der eigenen Individualität merkt recht bald, dass die unterschiedlichen Charaktere dieser harmonischen Gruppe im Grunde gar nicht zusammen passen und nichts miteinander gemein haben als nur den Suff. Es gibt keinen anderen Weg: wer zurück will in diese Welt, muss zurück in die Sucht.

Zwei, drei Wochen ging es gut. Dann bekam Müllers Jupp eines Abends einen Blutsturz. Man holte noch einen Krankenwagen und legte ihn hinein, aber es war zu spät.

Ein Schmähgedicht

Hommage an Anonymous Deutschland
(Kölner dürfen das)

Schrimpel-Schrampel-Schrumpelklöten,
Erdogan ist schwer in Nöten.

Ein Donnerschlag kracht um sein Haus,
der Recip rennt zur Tür hinaus.

Zum Kuhstall rasch er flitzen will,
wenn’s donnert, steh’n die Kühe still.

Tut auch der Regen ‘s Dach verkloppen,
der Erdogan will Kühe poppen.

Ein bisschen Spaß, sagt er, muss se(in,
schiebt Schrumpelklöten mit hinein.

Der Kuh ist sowas recht egal.
Sie spürt das Ganze nicht einmal.

Autor’n kann Erdogan traktieren,
doch nicht mit Bullen konkurrieren.

Recip macht sie eh nicht an;
Die Kuh, die ist aus Kurdistan.

Sie träumt von ihrem Kurdenbullen
und fängt mal eben an zu strullen.

Hebt dann den Stert mit Eleganz
und kackt dem Recip auf den Ansatz von Dödel und Schrumpelklöten.

(April 2016)

Kuh

Käferknaben

Die breite Eiche ist nun gelb und braun.
Wo sind die dicken Käfer unter’m Baum,
die brummend, torkelnd ab und an
mir an den Kopf geflogen kam’n?

Der Tag war heiß, fast noch zu warm die Nacht.
Wir haben sie zum Tag gemacht.
War’s Dämmrung? Nacht? Ich weiß es nicht.
Wer kann’s schon sagen von dem Sommerlicht?

Plötzlich, da war’n sie da. Wie auf Trompetenstoß.
Alle auf einmal brummten los.
Mal grad, mal schräg, dann stürzten sie mal ab
brummelten wieder hoch, fingen sich ganz knapp,

Gemütlich,  lustig und so unbeschwert,
als ob ihnen allein die ganze Welt gehört.
Wo sind sie hin? Wer hat sie uns geraubt,
die dicken Käfer unter’m Eichenlaub?

„Es waren mal drei Käferknab’n,
die wollten mit Gebrummummummummumm
vom Tau ein Tröpfchen trinken und waren so betrunken,
als wär’s ein Fass mit Rummummummummumm …“

4Sie kommen wieder.
Bestimmt.

Die Pulververschwörung

Big Ben

Guy Fawkes Day

Denk dran, denk dran, am 5. November
gab’s Pulver, Verschwörung, Verrat.
Ich weiß keinen Grund, warum bis zur Stund
vergessen sein sollt‘ diese Tat.
Guy Fawkes, Guy Fawkes
seine Absicht man kennt:
in die Luft jagen König und Parlament.
Schafft‘ drei Zwanziger-Ladungen  Fässer herbei,
voll Pulver, dass Alt-England zerstöret sei.
Nur durch göttliche Fügung man fassen ihn konnte,
mit trüber Latern‘ und schon brennender Lunte.
Heiho Jungs, heiho Jungs, läutet Glocken nicht wenig,
heiho Jungs, heiho Jungs, Gott schütze den König!
Hip hip hurrah!
(Eigene Übersetzung! Copyright!)

Guy Fawkes

Remember, remember the fifth of November,
gunpowder, treason and plot,
I know of no reason why gunpowder treason
should ever be forgot.
Guy Fawkes, Guy Fawkes,
’twas his intent
to blow up the King and the Parliament.
Three score barrels of powder below,
Poor old England to overthrow:
By God’s providence he was catch’d
With a dark lantern and burning match.
Holloa boys, holloa boys, make the bells ring.
Holloa boys, holloa boys, God save the King!
Hip hip hoorah!

Verschwörer

Köln, Südfriedhof

Der Stadtteil Zollstock im Kölner Süden ist zwar recht dicht bevölkert, aber nicht gerade berühmt für Flair. Eigentlich sind sein Charakteristikum die Unmengen an Pizza-Reklame, die man dort in seinem Briefkasten findet. Ein ruhiger, verschlafener Stadtteil unmittelbar an einer von Adenauers Grünschneisen. Viel fiel den Bläck Fööss nicht dazu ein, doch die letzte Strophe ihres Zollstock-Liedes lautet:

Ich ben leider nit he jebore,
ich kumm nur janz selden he hin,
doch eine letzte Wunsch , dä hätt` ich,
deef en Zollstock bejrave ze sin.

Höninger Platz

Höninger Platz

Oh ja. Melaten ist älter, hat richtig Geschichte seit Römers Zeiten, aber der Südfriedhof, der größte in Köln, ist ein Traum. Ich habe heute einen kleinen Spaziergang über den Friedhof gemacht, einen ganz persönlichen. Er beginnt am Höninger Platz, Endstation der Linie 12, Zollstocks Lebensader. „Zollstock Südfriedhof“ steht drauf. Und so steht denn auch immer eine Zwölf am Höninger Platz und macht Päuschen. Zugegeben, schön ist anders. Aber so ist das in Köln: da liegen die Perlen mitten in der schnell und lieblos wieder hoch gezogenen, im II. Weltkrieg fast völlig zerstörten Stadt.

Eingang

Südfriedhof, Eingang

Der Südfriedhof ist so eine Perle und gerade jetzt, Anfang Juni. Denn dann blüht nicht nur der Jasmin und die Luft ist von betörendem Duft erfüllt, die Vögel singen, was das Zeug hält, die Eichhörnchen toben zwischen den alten Baumstämmen, also, wenn dieser Park eines nicht ist, dann tot. Ohnehin ist man in Köln nie so tot wie andernorts, weil der Kölner dazu neigt, den Tod schlicht und einfach zu ignorieren. Das sieht man auch am weitläufigen Eingangsbereich mit seinen zahlreichen Bänken. Es sind nicht nur Omas und Opas, die sich bei schönem Wetter dort zu einem gemütlichen Schwätzchen treffen.

Im Zentrum des alten Friedhofsteils, man läuft direkt darauf zu, steht das Hochkreuz. Das gleichzeitig als Grabmal genutzt wird für die, die vielleicht kein Grab haben oder wo es zu weit weg ist. Die stellen ihre Grablichter an den Fuß des Kreuzes. Ganz natürlich steht es da mitten zwischen hohen Bäumen.

Hochkreuz

Natürlich hat auch der Südfriedhof ein paar prächtige alte Grabmäler. Sofern verwaist, kann man sie übernehmen, muss sie dann renovieren und darf natürlich den Namen seiner eigenen Angehörigen anbringen lassen und sie dort begraben. Eines, das so „in Betrieb“ ist, ist hier zu sehen.

Grab mit Jesus

Viele Kriegsgräber gibt es auf dem Südfriedhof. Dies ist ein Kriegsgräberfeld noch aus dem I. Weltkrieg.

I WK 2

Man sieht, wie alt und bemoost die Steine sind, teilweise kaum noch lesbar und in wenigen Jahren 100 Jahre alt.

I WK 3

Es empfiehlt sich, mal an solchen Kriegsgräbern lang zu gehen und, sofern noch möglich, die verwitternden Grabsteine zu lesen. Diese Vielzahl an meist jungen Männern, selten mal an die 40 Jahre alt sind sie geworden, mit den kryptischen Abkürzungen, die ihren militärischen Rang und ihre Einheit wieder geben,was Krieg ist, steht hier in Stein gemeißelt. Grau, feldgrau sind die deutschen Steine. Nicht weit davon sind die Steine weiß.  Das sind Gräber britischer Besatzungssoldaten, ihrer Angehörigen und ihres Personals, denn bis 1926 war das Rheinland von den Briten besetzt.

Kindergräber 1

Hier sieht’s ein bisschen unordentlich aus, es wuchern schon mal prächtige Unkrautbüsche und die Gräber liegen alle bisschen kreuz die quer. Nun ja, es ist normal, dass diese Toten nicht so intensiv betrauert werden, hatte man doch kaum Zeit, sich an sie zu gewöhnen. Die ganz Kleinen liegen hier, die, die höchstens zwei Jahre alt geworden sind, manche noch nicht mal einen Tag. Und dazu passt das, auch das Unkraut. So, wie die bunten Windräder und die Teddybären aus Ton.

Kindergräber

Ganz das Gegenteil finden wir hier:

Commonwealth 3

Hier ist eine Staatsgrenze, denn mit dem Eisentor beginnt britisches Staatsgebiet. Dies ist ein Kriegsgräberfriedhof des Commonwealth, vor allem natürlich britische Soldaten liegen hier ordentlich in Reih und Glied unter kurz geschorenem Rasen und weißem Stein aus Großbritannien, überhöht von einem ebenso steinweißen Kreuz, wie überall auf der Welt.

Commonwealth 1Und vor der dichten Hecke, die das britische Staatsgebiet abtrennt, so’n bisschen wie draußen vor der Tür, in üblichem Feldgrau die deutschen Kriegsgräber.

II WK

Abgetrennt und abgeschlossen ist übrigens nur der Soldatenfriedhof. Es gibt auch noch einen anderen, für die während der Besatzungszeit nach dem II. Weltkrieg verstorbenen Briten, natürlich auch zumeist Soldaten. Mit eingemeißelten Truppenemblemen, vielen Blumen und rührenden persönlichen Grabsprüchen. Heldengedenken gut und schön, aber die Besatzungstoten haben gewiss mehr Unterhaltung.

Ordnung herrscht auch hier, bei den Italienern.

Italien 1

Und Fahnen müssen sein. Links die deutsche Flagge, rechts die Europas, und in der Mitte, hinter dem Obelisken, natürlich, die italienische.

Italien 2

Auch dies war einst italienisches Staatsgebiet. Es ist aber längst wieder deutsches. Wie es das geworden ist, weiß kein Mensch. Es ävver ejal, denn Köln ist schließlich die nördlichste Stadt Italiens. Dennoch, ein Stückchen Heimat, weswegen viele Italienier sich um den italienischen Soldatenfriedhof herum ‚ansiedeln‘.

Ital Gräber

Denn was in Köln gelebt hat, das liegt hier auch begraben: Italiener, Franzosen, Griechen, Südosteuropäer, und auch für Iraner und sonstige Muslime findet sich ein Plätzchen mit Ausrichtung nach Mekka. Ich finde das auch schöner so, schön durcheinander alle zusammen.

Es gibt auch Grabmäler, da überlegt man erst mal, hm, wat is dat. So wie dieses alte der Familie Olbertz.

Olbertz

Ich bin mir noch nicht sicher, was das sein soll: Mann, Frau mit nackten Titten oder so’ne Art zwittriger Engel?

Zauberhaft diese Erfindung für Menschen ohne grabpflegende Angehörige, die dennoch nicht so ganz anonym bleiben wollen: die Bestattungsgärten. Hier liegen die Urnen in den Beeten und statt eines Grabsteines kann es auch nur den Namen in Gold auf der Mauer geben.

Bestatungsgärten

Auf jeden Fall ist dieser Garten wunderschön, angelegt nach allen gartenbaulichen Künsten. Friedhof? An kaum etwas denkt man weniger und bei den drei fröhlich gestikulierenden Männern, die sich auf einem der geselligen, sonnigen Sitzplätze unterhielten, fehlten eigentlich nur noch die Skatkarten. Aber hier ist das so: da hat man auch nichts dagegen, wenn die Kinder mal zwischen den Gräbern Nachlaufen spielen. Denn so tot sind Tote gar nicht. Jedenfalls nicht in Köln.

Bestattungsgärten 2M

Manche Gräber haben sehr persönliche Geschichten, manche sind berühmt, wie das des Boxers Müllers Aap oder von Ursula Kuhr.

220px-UrsulaKuhrGrabstein_Koeln

Ursula Kuhr hatte sich beim Attentat auf die Schule in Volkhofen dem Täter mit seinem Flammenwerfer entgegen gestellt, um ihre Schulkinder zu schützen, und war  von ihm getötet worden. Eine echte Heldin.

Eine Heldin des Alltags liegt unter einem dieser Steine:

Geli

Geboren als Contergankind sollte sie eigentlich nur 30 werden; sie schaffte die 50. Sie hat sogar geheiratet und bekam eine Tochter; doch ihn Mann war pädophil und hatte wohl nur deswegen geheiratet und ein Kind gezeugt. Ich weiß nicht, wie sie’s raus kriegte, aber als ihr Mann mit dem Kind nach Holland fuhr, um sich dort mit drei Freunden zu treffen,  fuhr sie ihm im Rollstuhl mit der Bahn hinterher. Sie alarmierte die Polizei und er wurde fest genommen. Sie meinte, gerade noch rechtzeitig. Mag sein, denn er wurde nur zu 3 Jahren verurteilt. Sie zog das Kind dann natürlich alleine groß.

Obdachlose 1

Und auch die gehören selbstverständlich dazu: die Kölner Obdachlosen. Die werden normalerweise meist anonym bestattet, das ist schließlich am billigsten. Aber die Kölner Obdachlosen, sofern man irgend wie ihren Namen weiß, die kommen hier hin. Und das ist ihnen durchaus wichtig. Dass ihr Name irgend wo geschrieben bleibt. Also hat man Spenden gesammelt und ihnen hier, mitten auf dem gut bürgerlichen Südfriedhof, eine Flur gekauft.

Und so können auch die Obdachlosen ihre toten Freunde betrauern und ihrer gedenken.

Obdachlosengrab

Ich bin ene kölsche Jung,
ligg op Melaten.
Wennst’e mich besöke wellst,
denk an dr Spaten
Ich ligg su jään bei üch,
en Kölle em Jrav,
un rööf vun unge
Köllen Alaaf!

Aschermittwoch

Wir leben so, und ihr lebt anders – und Berlin interessiert nicht, das ist hinter’m Ural.

Zu Grabe getragen haben wir das alte Jahr. In Köln ist Aschermittwoch Neujahr. Es beginnt, wenn man den Platz verlässt, auf dem der Nubbel gebrannt und alles mit genommen hat.

Der Tod? In Köln ist man nicht ganz so tot wie andernorts: “Ich ligg su jän bei üch, in Kölle em Jrav un rööf vun unge Kölle Alaaf” und dem Tünnes sein Gewissen mahnt ihn nicht wegen seiner Leber, sondern will “met suffe”. Und Anna trafen wir gestern auf dem Eierplätzchen, nach dem Südstadtzug. Die Kanüle noch in der Hand. Hat sich auf eigene Verantwortung für paar Stunden aus dem Krankenhaus entlassen; ganz ohne Zug, das geht nicht.

Bei uns sind schon Kinder geboren worden, wo die Eltern vom Ballsaal ins Krankenhaus fuhren und keine Zeit mehr zum Abschminken hatten.
Und wer gestorben ist, nimmt an der nächsten Session als Foto teil. Man darf den Tod nicht zu ernst nehmen.
Ernst nimmt man ihn, wenn einer den Tod eines anderen verschuldet hat. Wie den der beiden Jungs, die beim Einsturz des Stadtarchivs ums Leben kamen. Der 5. Jahrestag fiel 2014 auf den Rosenmontag. Das Loch liegt am Zugweg. Klar, dass man da Station macht.

Rosenmontag 2

 

Aschermittwoch beginnt der Frühling. Es ist ganz egal, ob er längst begonnen hat oder ob der Frost die knospenden Zweige noch gefangen hält.

“Der Riese hat wieder die Erde berührt und es wuchsen ihm neue Kräfte”. Die Stadt. Die Mitbürger. Ihre Herzlichkeit, ihre Freundlichkeit, ihre Großzügigkeit. Was sie zur wunderbarsten Stadt der Welt macht, obgleich man gerade bei den Umzügen wieder einmal fest stellt, wie hässlich sie doch ist. Fast alles war nach dem Krieg kaputt, man überlegte, sie aufzugeben – doch die Bürger kamen zurück, legal, illegal, scheißegal, und es musste gebaut werden. Schnell hoch gezogen, kreuz die quer, und wenn der Rat meckert, dann hängt man sich eben einen neuen Kallendrisser an die Fassade seines neuen Bunkers, diesmal von Mataré, neues Denkmal, kannste gucken, da, wo der alte hing, an dem zerstörten alten Haus, das wieder aufzubauen das Geld fehlt, genau gegenüber dem Fenster des Bürgermeisters. Aasch lecken.

Hässlich. Und dreckig. Und wunderbar.

Neujahr. Man sprüht Funken vor Kraft. Die Füße tun weh. Und der Rücken. Und die Arme und an den Fingern muss man beim Putzen auf die Blasen vom Trommeln aufpassen. Denn die Wohnung ist ein Schlachtfeld. Wie jedes Jahr.
Neujahr beginnt der Frühlingsputz, Dann lohnt er auch.

Karneval ist anstrengend. Die Märsche durch die Stadt. Die durchtanzten Nächte. Die schweren Hüte, Kostüme, Trommeln, die man schleppt.
Das schafft man. Das hält man durch. Und lebt trotzdem, und wie!
Der Kölner ist unverwüstlich; den kriegt man nicht klein.
Er sieht nicht danach aus.
Doch gehört das zu den tiefen Geheimnissen des Uralten.
Denn wir sind uralt. Das wissen wir immer.

Neues Jahr, neues Glück. Wir können das. Uns schafft keiner.

Und jetzt tun wir erst mal bisschen fasten. Bisschen. Nich übertreiben.
Wir lassen mal das Bier weg. Schmeckt sowieso nicht mehr, nach Karneval.
Warum? Weil wir so brav sind?
Nö. Weil wir’s können.

Geschichten aus dem anderen Deutschland

Es ärgert mich maßlos, wenn alle Deutschen in einen Topf geworfen und zum notorischen Tätervolk erklärt werden. Und ich denke an 1968. Damals hatten wir im Westen abgeschlossen mit dem Nazi-Regime und mit der Elterngeneration, von denen die meisten irgendwie bräunlich waren. Abgeschlossen mit Willy Brandt, der nie Nazi war, der im Widerstand war, so, wie viele andere, ja, im Grunde sogar Adenauer. Es gab ein anderes Deutschland, hatte es immer gegeben. An das knüpften wir an, das war unseres, unsere Geschichte, unsere Tradition. Und unser Kampf: das freie, freundliche, weltoffene Deutschland, dafür wollten wir kämpfen. Nie wieder hieß, wir wollten unsere Macht als demokratische Bürger hüten und bewahren und uns nie wieder von jenem entstirnigen, provinziellen, größenwahnsinnigen Deutschland mit seinen bösen Märchen beherrschen lassen. Wir hatten die Macht und waren gesonnen, sie niemals wieder aus der Hand zu geben.

1968, das war für mich eine Befreiung. Denn das betretene Schweigen hörte auf, das mich immer dann umgab, wenn man sich die Familiengeschichte erzählte. Zum ersten Mal erlebte ich es in der Grundschule. Es war um den Volkstrauertag. Die Lehrerin erzählte tief betroffen und stockend fast von den Nazi-Gräueln, schaute uns dann ernsthaft an und sagte eindringlich: wir müssten uns klar machen, dass wir alle Schuld sind. Denn all unsere Eltern hätten mitgemacht, das dürften wir nie vergessen.

Nein.
Ich stand auf und sagte: ich nicht. Mein Vater ist nach Peru gegangen und als Krieg und all diese Gräuel passierten, saß er in Texas im Lager. Mein Vater hat nie in seinem Leben ein Gewehr in die Hand genommen, um damit auf Menschen zu schießen.

Es folgte ein Schweigen, das man mit Händen greifen konnte.
Die Lehrerin brach die Gedenkstunde übergangslos ab und begann mit dem normalen Unterricht.
Was war passiert? Ich ahnte den Zusammenhang: wenn alle Schuld sind, ist keiner Schuld, Dann kann man sonntags tief zerknirscht sein und ansonsten ganz normal weiter leben. Als der, der man immer war.
Aber wehe, es sind nicht alle Schuld. Dann muss man nämlich fragen: warum ich und nicht der? Was war anders?

Ich war nicht der einzige in der Klasse, der hier das große sonntägliche Gedenken durch sein pures Dasein störte. Da war noch ein Junge. Ein stiller, etwas dicklicher Außenseiter. Seine Eltern taten etwas Ungeheuerliches: sie zogen mit ihm in die DDR. Sie waren Kommunisten. Verfolgte des Nazi-Regimes, die Familie war teilweise im KZ gewesen, einige dort umgekommen. Er hatte einen ganz kurzen, sehr unpersönlichen Abschied in der Klasse: Kommunist und in die DDR, das war schlimmer als Nazi. Denn das waren ja angeblich alle gewesen.

Er war auf mich zugekommen nach meinem Nein zur Kollektivschuld. Er und seine Familie seien auch nicht schuld. Und ich ging auf ihn zu, als die Lehrerin gesagt hatte, er würde weg ziehen. Wohin zieht ihr denn? In die DDR. Warum nicht? Auch da kann man leben.
Doch als ich es ganz normal den Klassenkameraden erzählte, reagierten sie, als hätte er Lepra.

1968 brach diese Mauer. Die Jungen fragten, forschten, was habt ihr getan, warum, wieso habt ihr euch nicht gewehrt? Und warum haben andere sich gewehrt? Und Willy Brandt wurde Kanzler, obwohl die Rechten und ihr Tageblatt Bildzeitung ihn ob seines Widerstandes konstant Vaterlandsverräter nannten. Durch den Zulauf all dieser Jungen und durch das Brechen des Schweigens bekam das andere Deutschland die Mehrheit. Und in der öffentlichen Diskussion, die anhub, besiegt oder befreit, setzte sich das andere Deutschland durch: wir danken den Alliierten, denn sie haben uns vom Nazi-Regime befreit, unter dem wir sonst hätten leben müssen. Mit Brechts Kinderhymne machten wir uns ans politische Werk:

Anmut sparet nicht noch Mühe
Leidenschaft nicht noch Verstand
Daß ein gutes Deutschland blühe
Wie ein andres gutes Land

Daß die Völker nicht erbleichen
Wie vor einer Räuberin
Sondern ihre Hände reichen
Uns wie andern Völkern hin.

Und nicht über und nicht unter
Andern Völkern wolln wir sein
Von der See bis zu den Alpen
Von der Oder bis zum Rhein.

Und weil wir dies Land verbessern
Lieben und beschirmen wir’s
Und das liebste mag’s uns scheinen
So wie andern Völkern ihrs.

Mein Vater wurde 1908 geboren, in einem kleinen Mecklenburger Bauerndorf. Als jüngster; seine älteste Schwester war schon 22 bei seiner Geburt. Das Dorf war zu klein für die zahlreichen Nachkommen, also ging er, wie üblich und wie schon seine Schwester es zuvor tat, nach Hamburg. Und wurde Seemann. Die christliche Seefahrt. Zivil bis ins Mark. Sie hatte damals ihr eigenes Ethos. Kriegsschiffe, von denen hielt man sich fern. Die gehörten eigentlich gar nicht aufs friedliche Meer. Auf dem Meer kämpfte man mit den Naturgewalten, niemals gegen Menschen. Und Menschen waren alle. Ob schwarz, weiß, gelb oder braun, sie alle gehörten zu derselben Mannschaft, mit der man gemeinsam das Schiff über’s mal friedliche, mal tückische Meer steuerte. Und an den Häfen anlegte. Woermanns Ostafrika-Linie. Die meisten Menschen in den Häfen waren schwarz. Jo. Aber ansonsten auch nicht anders, als man selbst. Andere Kulturen, andere Lebensweise, spannend und interessant – und manchmal lustig. Mit diesen zahllosen Seefahrergeschichten bin ich aufgewachsen.

Und mit Geschichten aus der Studentenzeit. Denn als mein Vater genug Geld gespart hatte, studierte er in Hamburg auf Schiffsingenieur. Eine harte Zeit, denn es war die Weltwirtschaftskrise und niemand, der studierte, wusste, ob er mit seinem Studium jemals würde Geld verdienen können. Egal.

Die Studentenschaft war zweigeteilt: die einen waren Nazis, die anderen dagegen. Wortführer der Gegner waren die Kommunisten und unter ihnen etliche Juden; der Anführer war was ganz ‚Schlimmes‘: ein jüdischer Kommunist. Er kam davon, denn er wusste Bescheid und floh noch in der Nacht der Machtergreifung ins Ausland.

Der Krieg war zum großen Teil ein Sängerkrieg. Ähnlich, wie im Film Casablanca beschrieben: die Nazis stimmten ihre Lieder an – und die Gegner hielten dagegen. Exilanten hatten am Film mit gewirkt, die kannten sich aus. Ich lernte jede Menge alte Arbeiterlieder von meinem Vater, die damals die ‚Waffen‘ gewesen waren, insbesondere den Roten Wedding. „Drüben stehen die Faschisten – haut sie tot!“ – so war es damals umgedichtet worden und oft marschierte ich mit meinem Vater mit hoch gereckter Faust singend um den Esszimmertisch. Doch es blieb nicht immer beim lustigen Sängerkrieg. Strassers Schlägertruppen machten Hamburgs Straßen unsicher. Einmal war er hinein geraten in so eine Schlägerei zwischen Nazis und ihren Gegnern, vor allem Kommunisten, ein schreckliches Erlebnis, denn es gab Schwerverletzte, vielleicht sogar Tote. Wenn sein Urteil jemals unsicher gewesen sein sollte, seit dem Tag stand es fest: so etwas darf es nicht geben, das sind rechtlose Barbaren, die der Staat bekämpfen muss.

Mit vielen anderen glaubte er nach der Machtergreifung nicht, dass diese Barbaren sich lange würden halten können. Doch für die Juden wurde es übel, denn sie sollten ausgestoßen werden. Sah er nicht ein. Was geht ihn das an, wenn die Nazis keine Juden mögen? Wo haben die das Recht, sich in die Freundschaften der Bürger einzumischen? Sein Freundeskreis scherte sich also nicht drum. Juden sollen im Hörsaal getrennt von den anderen sitzen? Nö. Kommt nicht in Frage. Doch zunehmend setzte sich die Staatsmacht durch und die Juden mussten fort. Viele gingen ins Ausland, wobei manche sich nicht trauten, ihre Pässe bei der Behörde abzuholen. Kein Problem, holte sie eben ein anderer ab. Die meisten gingen in die Niederlande; bietet sich an für frisch gebackene Schiffsingenieure. Auch mal einer nach Übersee und einer nach Palästina. Davon erzählte mein Vater und ich glaubte lange Zeit, dass all seine Freunde und Studienkollegen davon gekommen seien. Erst spät, ich war schon erwachsen, fragte ich nach einem Namen: und wo ist der hin? „Der ist nach Berlin zu seinen Eltern gegangen. Das war falsch.“ – „Und dann?“ – „Weiß nicht. Nach Polen.“ Ich begriff. Er wollte es nicht wissen, weil er es wusste. Denn es war nicht irgend ein Jude aus der großen Menge der ermordeten Nazi-Opfer. Es war ein Freund, mit dem man gelebt, gelacht und gespaßt hatte. Sich den nun vom Elend zur Unkenntlichkeit entstellt hinter Stacheldraht vorzustellen oder gar wie Abfall verbrannt, das tut zu weh. Das martert den Kern des Menschlichen. Der Einzelne, mit dem man ein Stück seines Lebens geteilt hat, ist eben etwas ganz anderes, als eine Vielzahl anonymer Opfer, zu denen man keine Beziehung hatte.

Mein Vater fuhr als Schiffsingenieur wieder zur See. Alles war gut und die Nazis weit weg. Doch eine Tropenkrankheit fesselte ihn in Deutschland. In der Rekonvaleszenz stellte sich heraus, er konnte da nicht mehr leben. Die dort inzwischen herrschende Rechtlosigkeit machte ihn halb wahnsinnig, immer wieder geriet er mit ‚gut bürgerlichen‘ Nazi-Freunden aneinander, tobte, prügelte sich gar mit einem und seine Schwester erkannte, der muss fort. Sonst landet der noch sonstwo. Über ihre Beziehungen besorgte sie ihm Schiffspassage und Arbeitsplatz in Peru und an einem Morgen im August 1938 lief sein Schiff mit Kurs Lateinamerika aus. Gerade noch rechtzeitig, denn sie wurde auf’s Amt bestellt: mittags hatte die Gestapo an der Tür seiner verlassenen Wohnnung geklingelt.

Es war das Jahr, in dem die Juden zur Auswanderung gedrängt wurden und so waren denn auch die meisten Passagiere jüngere Juden. Solche, die in Lateinamerika einen Arbeitsplatz ergattern konnten oder zumindest eine Bürgschaft, denn einfach so konnte man dort nicht hin. Vorsichtig, denn das musste man sein, fragte der Steward, mit wem mein Vater denn seine Kabine teilen wolle, einem Südamerikaner oder einem jüdischen Kaufmann aus Berlin und ebenso vorsichtig antwortete er, das sei ihm egal, aber ein Europäer sei ihm lieber. Also zog er mit dem Berliner zusammen.

Fast nichts Politisches gibt sein Tagebuch her. Nur ein einziges Mal, als er sich beim Kapitän darüber beschwerte, dass der die Hakenkreuzfahne vor der Küste Lateinamerikas bei einer Schiffsbegegnung aufziehen ließ: das gehöre sich nicht nach Seerecht, da gehöre die deutsche Fahne hin. Tja, meinte der Kapitän, er habe aber strikte Anweisung, die Hakenkreuzfahne aufzuziehen. Könne er nichts machen.

Seinem Kapitän begegnete er wieder. Im Lager Kenedy in Texas. Er war dort Lagersprecher. Sein Schiff war zwei, drei Jahre später in Buenos Aires fest gehalten worden und nach paar Wochen war er samt Mannschaft in die USA verfrachtet worden.

Der erste Landgang in den Niederlanden muss eine Erlösung gewesen sein. Die deutschen Auswanderer – und es war völlig gleichgültig, wer von ihnen Jude war und wer nicht – saßen gemeinsam im Kaffee und streckten die Beine aus. Wieder in der Zivilisation! Sich wieder ganz normal unterhalten können, ohne beständig ängstlich darauf zu achten, wer was ist und wer was sagt! Es ist verständlich, warum das Tagebuch nichts Politisches enthält: sie gaben sich dem normalen Leben hin, alle, wie sie da waren, spielten Shuffleboard, flirteten und schmiedeten Zukunftspläne. Und verabschiedeten sich dann, einer nach dem anderen, nach der Durchfahrt durch den Panama-Kanal, an ihren Zielhäfen.

Peru. Lima. Die Stadt der Rosen. Sie nahm in liebevoll auf und mein Vater erwiederte diese Liebe zeitlebens. Indianertänze kamen zu unserem Familienrepertoire hinzu. Er war glücklich dort, verlobte sich und wollte für immer dort bleiben. Nazideutschland, das war weit weg. Ab und an unterhielt man sich darüber. Als die USA in den Krieg eintraten. Nun würden die Alliierten das Regime wohl bald besiegen und die Nazis vertreiben, diesen Schandfleck. Und – dann solle man Deutschland teilen. Zwischen Nord und Süd. Denn für ihn als Norddeutschen waren die Nazis aus dem Süden gekommen. Also besser weg damit. Der Sieg der Alliierten? Ich habe es nie anders gelernt und begriffen, denn als Befreiung. Und wenn bei gelegentlichen Besuchen der mütterlichen Verwandtschaft in der DDR die Beschwerde kam: „Ja, haben wir denn alleine den Krieg verloren?“ konnte ich das nicht nach vollziehen. Wieso verloren? Mensch, stellt euch mal vor, die wären nicht besiegt worden, die gäbe es immer noch! Das wäre doch furchtbar! Doch unter der unfreien sowjetischen Herrschaft wurde das anscheinend nicht so wahr genommen.

Das glückliche Leben in Peru zerbrach. Für die USA waren alle Deutschen Feinde. Auch die in Lateinamerika, obgleich diese Staaten überhaupt nicht im Krieg standen. Die fünfte Kolonne. Es mag sie gegeben haben, aber sie waren eine kleine Minderheit und die Mehrheit hatte keinerlei Kontakt zu ihnen. Die waren froh, den Nazis entkommen zu sein. Doch das interessierte die USA nicht. Die interessierte nur der Pass. Es interessierte sie nicht einmal, ob ein Deutscher Jude war. Und dass sie in unabhängigen Staaten lebten. Lateinamerika war ihr Hinterhof und wessen sie irgend habhaft werden konnten, den schnappten sie, setzten ihn in Sammelunterkünften fest und verfrachteten dann die ganze Gruppe per Schiff in die USA. Von der Westküste ging es dann weiter per Zug ins Deternierungslager. Für Deutsche ohne Familie war das Camp Kenedy, Texas. Warum? Weil sie gefährlich waren? Nein. Sie waren Handelsware. Festgehalten, um sie gegen gefangene und verletzte US-Soldaten auszutauschen. Das Auslaufen eines der ersten mit dieser Handelsware beladenen Schiffe wurde übrigens von amerikanischen Bürgerrechtlern verhindert: zur Handelsware gehörten auch deutsche Juden. Ja, die saßen ebenso als angeblich gefährliche 5. Kolonne der Nazis in Camp Kenedy. Es bedurfte einiger Anstrengungen, die US-Behörden davon zu überzeugen, dass deutsche Juden, auch die aus Lateinamerika, nicht in ein US-Internierungslager und schon gar nicht zum Austausch auf ein Schiff gehörten.

Das Lager (in den USA werden solche Lager übrigens stillschweigend zu den Konzentrationslagern gezählt, stillschweigend, weil peinlich) war eine traumatische Erfahrung für meinen Vater. Ich habe sie hier beschrieben. Wer die persönlichen Geschichten lesen sollte wird feststellen, anderen ging es genau so. Es verwundert nicht, dass etliche ehemalige Insassen oder ihre Nachkommen sich für die in Guantanamo Gefangenen einsetzten; sie wussten ja, wie es ist, wenn man ohne jedes Recht einfach aufgrund seines Passes oder irgend eines Zufalls hinter Wachtürmen und Stacheldraht festgehalten wird. Denn auch in Guantanamo waren die wenigsten Taliban-Kämpfer und vermutlich hielten sich die anderen Gefangenen von ihnen ebenso fern, wie die Häftlinge in Kenedy von den paar Nazis. Schlimm genug, achtlos mit ihnen gemeinsam inhaftiert zu sein.

Sie wollten fast alle repatriiert werden. Raus aus der Gefangenschaft, alles besser als das. Ewig konnte der Krieg ja nicht dauern und irgendwie würde man schon wieder zurück kommen nach Lateinamerika, wohin man derzeit nicht zurück durfte, auch, wenn man dort Frau und Kinder hatte. Mein Vater wurde spät repatriiert, 1944 erst, versehen mit einem Dokument, das ihn mit Berufung auf die Genfer Konvention unter einen gewissen Schutz stellte – und das vor allem verbot, ihn zu militärischen oder paramilitärischen Zwecken einzuziehen. Ein wertvolles Dokument, das er immer bei sich trug. Denn als die Nazis ihn zum Volkssturm einziehen wollten, weigerte er sich mit Berufung darauf. Sie nahmen ihn fest und drohten mit Erschießung, hatten aber genug Befürchtungen, ihn zum Oberkommandierenden außerhalb der Stadt zu fahren – der dann doch entschied, ihn laufen zu lassen. Zu Fuß natürlich. Zurück fahren war er nicht wert.

Repatriierte, denen man nichts kann, setzt man da ein, wo’s gefährlich ist: nach paar Wochen Ausbildung wurde er als Sicherheitsingenieur in die Magdeburger Fettchemie beordert, Aufgabe: dafür zu sorgen, dass den Magedburgern das Werk nicht unter Bombenangriffen um die Ohren flog. Na ja, da lernte er dann nochmal die Nazis kennen, die die Leitung des Werks hatten. Ihre Feigheit. Insbesondere bei den Angriffen im Januar 1945. Sie blieben mit ihren Familien in den Bunkern hocken, zitternd vor Angst und kein Verantwortlicher war dazu zu bewegen, mit hinaus zu gehen, Schäden zu begutachten, zu löschen, Anweisungen zu geben. Er tat’s mit seinen paar Leuten alleine – und schrieb danach seine abgrundtiefe Verachtung in sein Tagebuch. Ebenso ist die Verachtung heraus zu lesen, als französische Truppen unter General Lemaitre Magdeburg besetzten und dieser eine Abordnung der Bürger zu sprechen wünschte. Die, die mit der Verweigerung der Kapitulation  noch eine Woche zuvor einverstanden waren, schoben ihn nun vor: er sei doch polyglott und international erfahren, solle er doch mit dem General reden. General Lemaitre machte ihn für die paar Tage bis zum verabredeten Einmarsch der Russen zum Bürgermeister des Ostbezirks.

Mein Vater hatte sich nie über die Bombenangriffe beschwert, auch nicht, wenn sie zivile Behausungen trafen. Das war eben so im Krieg. Da musste man durch, zusehen zu überleben, denn der Krieg würde bald zuende sein. Und helfen. Nicht den Nazis. Sondern den Bürgern. Engagierte Ingenieure fanden sich zusammen, um trotz Krieg das wichtigste überhaupt zu tun: die beschädigten Wasserleitungen zu reparieren. Denn eine Großstadt ohne Trinkwasser, das war ein Albtraum. Die Nazis? Die kamen da nicht vor. Die hatten was anderes zu tun: volksstürmen. Sie hatten allerdings auch nichts dagegen, es war ihnen egal. In dem Chaos sollten die Ingenieure doch machen, was sie wollten. Kriegstauglich waren die eh nicht.

Es sind keine Helden- und Frontgeschichten, wie bei den anderen, mit denen ich aufgewachsen bin. Es sind Geschichten aus dem anderen Deutschland: vom Überleben, vom Retten, was zu retten ist, von humanen Pflichten, von der Zivilgesellschaft: ihrem Erhalt, ihrem Durchkommen. Die war braun? Na, wohl eher nicht (mehr). Sie waren verwirrt, hatten jeden Überblick verloren, lebten nur noch im Jetzt, in ihrer eigenen, auf wenige Quadratmeter zusammen geschrumpften Welt. Das würde schon wieder werden. Wenn die Nazis erst weg seien. Das Ende. Darauf hoffen sie alle jeden Tag. Und wer nicht darauf hoffte, der war woanders. Auf einem anderen Planeten. Weit weg. Da sollte er auch bleiben. Bloß nicht in die Nähe kommen.

Mein Vater nahm auch die Besatzung durch die Russen als völlig normal hin. Waren schließlich auch normale Menschen, mit denen man zurecht kommen konnte, wenn man sich entsprechend benahm, so, wie es international üblich war. Er war schließlich nie ihr Feind gewesen, warum sollten sie seine sein? Schlechte Menschen gibt’s überall, auch bei den Russen. Aber die meisten sind es eben nicht.

Die Russen taten ihm nichts. Warum auch? So tat ich auch die Kaffeeklatschgeschichten ab, die die Frauen, darunter einige Flüchtlinge, sich erzählten: von dem Russen, dem furchtbaren. Jo. In der Masse? Wenn man sich von vorn herein einigelt vor dem bösen Feind? Kann dann ja auch nix werden mit passablen Kontakten. Oh ja, es waren viele, sehr viele noch bräunlich in meiner Kindheit. Weniger die Rheinländer. Die hatten zu Kriegsende längst die Nase voll gehabt und vor dem Einmarsch ihre weißen Bettlaken aus dem Fenster gehängt, hier und da waren auch schon mal volkssturmwillige Nazis zur Abholung durch die Amerikaner ins dörfliche Spritzenhaus gesperrt worden und meine Chemielehrerin war berühmt und gepriesen, weil sie ihre  zum Volkssturm gezogene Schulklasse schlicht und einfach zusammen mit deren Müttern ernergisch wieder zurück nach Hause geholt hatte: ihr seid wohl bekloppt, der Krieg ist vorbei und ihr wollt die am Ende noch verheizen? Nix da! Allzu viel Rückhalt bei der Bevölkerung hatten die Nazis im katholischen Rheinland noch nie gehabt und mit näher rückendem Kriegsende verschaffte sich der antiautoritäre rheinische Oppositionsgeist wieder Vorrang. Der später auch den leidvoll jammernden und zur Solidarität unter Kriegsverlierern mahnenden Ostflüchtlingen entgegen schlug: „Pimocken!“

Ja, man konnte auch mit den Russen auskommen. Auch dazu gab es noch eine lustige Geschichte im Repertoire. Sie kamen in die Fabrik, in der mein Vater arbeitete, leutselig, und schenkten jedem der zusammen gekommenen Führungskräfte erst mal eine Tasse Wodka ein. Mein Vater nahm an, denn es ist ein alter internationaler Brauch: bietet ein Fremder dir etwas zu essen oder zu trinken an, dann hast du es auch zu nehmen, alles andere ist eine Beleidigung. Eine weitere Tasse wurde ihm freundlich angeboten, und auch mit ihr erwiederte er den Trinkspruch. War bisschen viel auf einmal, er legte sich schlafen.
Als er wieder aufwachte, war die Fabrik leer. Die Russen hatten alle mitgenommen und verschleppt. Die hatten die internationalen Bräuche nicht geachtet.

Der Rest war Wiederaufbau. Nach einem Jahr Hilfe in der Landwirtschaft auf dem von Männern verwaisen elterlichen Hof ging er zurück nach Norddeutschland und musste sich der obligatorischen Entnazifizierung unterziehen. Die muss sehr kurz gewesen sein, denn mein Vater war stinksauer, dass er da überhaupt hin musste. Er muss recht überzeugend gewirkt haben, denn als Lohn gab es eine Anstellung bei den britischen Besatzungsbehörden.

1951 kehrte das normale Leben zurück. Er heiratete und zog ins Rheinland, als Konstrukteur für Zuckerrohrfabriken. Das wächst in Deutschland nicht. Und das war gut so, denn so musste er immer wieder ins Ausland: Indien, Südamerika, Sudan, Senegal … ich bin mit dem Ausland aufgewachsen. Mit seinen Geschichten, seinen Mitbringseln, seinen Besuchern. Mit Mangos, Avocados, Krokodilledertaschen und handgefertigtem Silberschmuck. Mit Flughäfen und damit, wie man die Mitbringsel durch den Zoll schmuggelt. Denn das gehörte dazu. Und mit internationaler Politik, mit Nachrichten. Deutlich erinnere ich mich an die Erschütterung über die Ermordung Patrice Lumumbas. Ich war knapp 9.

Das ist mein Deutschland. Das freie, demokratische, weltoffene, neugierige, freundliche Deutschland. Das Deutschland, das, neutral gegenüber jedermann, schon kurz nach dem Krieg wieder beliebt war. Kunststück, die anderen reisten ja nicht. Das Deutschland, das tüchtig ist und hilfsbereit, das sich auch da in eine Öllache legt, um eine Welle zu reparieren, wo dies eigentlich unter der Würde eines Ingenieurs ist, weil es nötig ist, weil es sonst nicht weiter läuft und die Ernte verdirbt, von der andere leben. Das einem Ausländer auch schon mal vor’s Schienbein treten kann, weil es weiß, die anderen sind nicht so und er beleidigt mit seinem Benehmen seine eigenen Leute. Das weiß, dass es andernorts Gast ist und erst mal zuhören muss, um zu verstehen, warum andere was tun, was der Sinn ist und was ihnen warum was bedeutet.

Dieses Deutschland, das andere, das meines ist, haben wir mit der Befreiung vom Nazi-Regime wieder gewonnen. Es ist ein gutes Land. Dass es so bleibt, werde ich gegen jedermann verteidigen. Auch gegen Linksextremisten und ihre widerliche Perversion, die Antideutschen.

Chatting with Moussa Ibrahim – FAQ

Hier mal was quasi historisches aus dem Libyen-Krieg 2011.
Moussa Ibrahim, auch Gaddafis Papagei genannt, war sein Sprecher, der in etwa das gleich Image genoss, wie der berühmt-berüchtigte Sprecher Saddam Husseins, der noch vor der Presse vom Sieg faselte, als hinter ihm im Fenster schon die amerikanischen Panzer zu sehen waren.

Mit diesen Radio Eriwan nachempfundenen Frage-und-Antwort Sketchen hab ich ab und an die Libyer unterhalten. Selbstverständlich waren sie alle auf damals gerade aktuelle Verlautbarungen und Ereignisse gemünzt.

Vielleicht macht es ja auch im Nachhinein noch Spaß – ein kleiner Einblick in die lustige Seite des „Cyber War“, die es auch gab, geben musste, um durchzuhalten.

Moussa Ibrahim

Dear brethren,

this is the official connection bureau of brother Moussa Ibrahim to Libyan Youth Movement.

Millions of people are with us. Also in internet. But as you may have noticed as well, the internet connections in Libya are therefore sometimes a bit overstrained.
So we ask you to find out in our FAQ whether your question to brother Moussa Ibrahim may not already be answered before trying to reach his chat.
This will disburden Libyan internet and show the crusaders that we are very well able to solve our communication problems with the Libyan people in a familar and peaceful way.

FAQ

Question: Is it true that rebel insurgency is nearing its end?
Answer: Principally yes, but our government will be quicker.

Question: Is it true that Saif-ul-Arab Gaddhafi has been killed by a Nato-airstrike and buried officially?
Answer: principally yes, but according to credible sources he recovered.

Question: Is it true that the international forces only intervened in Libya to steal the Libyan peoples oil?
Answer: principally yes, but we have more experience with that.

Question: Is it true, that Libyan oil minister Ghanem defected and will work as Libyan delegate to OPEC for TNC?
Answer: principally no, but we are quite confident he will continue his work and help his people to move out of this difficult time.

Question: Is it true, that government will withdraw all the troops from the Libyan cities, as soon as the rebels do the same?
Answer: Principally yes, but of course we have to examine then zenga zenga, dar dar, whether there is really nobody else anymore who doesn’t love our brother leader.

Question: Is it true, that Aisha al-Gaddafi tried to flee Libya already some weeks ago?
Answer: principally no, but as a former goodwill ambassador to United Nations Development Program she has the duty to inspect whether the states follow UN sanctions on Libya properly.

Question: Is it true that a strong earthquake was registered at Libyan coast on 19th May in the depth of 30 km?
Answer: Sorry, but we cannot answer any question about actual residence of brother leader.

Question: Is it true that the seat of your government is now in the underground of Tripolis?
Answer: Principally yes, but we are still working on displacing it to Djerba.

Question: Is it true, that Mu’ammar el-Gaddafi can hide in the Libyan peoples hearts?
Answer: principally yes, or did you ever find him in your hart?

Question: Is it true, that the NATO bombing of warships in Libyan ports cause a humanitarian crisis?
Answer: principally yes. Now John, let me explain: look, such a rocket, hitting our warship, causes a huge crater in the sea. Now a supply ship, you know, John, how hard it is to stop a ship, will not be able to brake at time and – directly fall into the crater. You can imagine, John, no enterprise will risk that, and if, the insurance will reach astronomical height.
But we don’t save costs and efforts for the welfare of the Libyan people, John. Tomorrow we will organize a bus tour to that place and you will see, we fixed and filled everything, nearly nothing to be seen anymore. So please do tell the world, our ports are safe, there is not the smallest hole in the sea.

(Puh, that was hard work! I need a nescafé now.)

Question: Is it true that for Libyan prime minister knows „that there is a red line that they can not go beyond“?
Answer: principally yes. Let me explain, John. Libya is a family enterprise. The prime minister doesn’t belong to its corporate management and never got the full power of attorney. And nowhere in international business there is an employee who does not have to respect the corporate managements red lines.